Die Bindung Isaaks (Gen 22)

Im vierten Fenster von links, vom Eingang aus gezählt, geht es um die Abraham-Geschichte, speziell um seinen Glaubensgehorsam. Der Abraham-Zyklus ist zu finden im 1. Mosebuch, Kap. 11-25. An Abraham und seinen Nachkommen zeigt Gott, wie er eigentlich das Zusammenleben der Menschen haben möchte. Wenn sich die Menschen an Gott und sein Wort halten, sollen sie Segen erfahren. Abraham ließ sich auf Gottes Wort ein. Es gab viel zu lernen. Er geriet immer wieder in Situationen, die er besser gemeistert hätte, wenn er gleich auf Gott vertraut hätte als auf seinen Verstand und seine Intuition. - Hier dargestellt ist vor allem die Geschichte aus 1 Mose/Genesis 22.

Die beiden Figuren links stellen Abrahams beide Frauen dar: Sara, die den Isaak geboren hatte, und Hagar, die Nebenfrau, die Ismael geboren hatte. Unten rechts sind entweder die beiden Abraham-Söhne Ismael und Isaak angedeutet – oder eher wohl die zwei Burschen, die zu der Geschichte nach Genesis 22 gehören.

Nach vielen Jahren des vergeblichen Wartens auf ein eigenes Kind und Erben könnte die Welt für diese Familie jetzt in Ordnung sein. Aber nein: Abrahams Gehorsam wird hart von Gott geprüft. Es folgt das dunkelste Kapitel in der wechselvollen Geschichte des Abraham. Gott trägt ihm auf: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast (!), und geh hin… und opfere ihn auf einem Berge, den ich dir zeigen werde!“

Abraham packt umgehend alles Nötige auf den Esel, nimmt Isaak und zwei Burschen mit (Bild unten rechts) und geht los. Am Fuß des Berges lässt er die Burschen mit dem Esel zurück und lädt Isaak das Feuerholz auf. Isaak muss also schon alt genug gewesen sein, um es tragen zu können. Er fragt nach dem Opfertier und bekommt zur Antwort: „Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.“ An der Opferstätte schichtet Abraham Steine zum Altar auf, legt Feuerholz auf, bindet Isaak (Mitte rechts) und legt ihn obendrauf. Dann hebt er das Messer (Mitte), um Isaak zu töten. Da ruft der Engel des Herrn: „Abraham! Tu Isaak nichts! Jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest und bereit warst, deinen Sohn zu opfern!“ Da sieht Abraham auf und erkennt, dass sich ein Widder in einen Busch verheddert hatte (oben rechts). Er bindet Isaak los und opfert stattdessen den Widder. Dann verspricht der Engel, dass Gott Abraham für seinen Gehorsam segnen will und seine Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel werden lassen will. „Und durch deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.“    

Die Darstellung in unserem Glasbild verwendet viel Rot. Abram gehorcht Gottes Wort (Bekenntnisfarbe!), obwohl es das Blut, das Leben seines Sohnes kosten kann. Weiß sind die betenden Hände und das jeweilige Opfer dargestellt, Reinheit und Heiligkeit symbolisierend.  

  

Interpretationen

Diese Geschichte ist eine der umstrittensten im ganzen Ersten Testament, und es gibt viele Interpretationsansätze. Z.B.:

Hat Abraham Gott richtig verstanden? Isaak sollte er opfern? Oder war gemeint, er solle Isaak zum Opfer „hinaufbringen, hinbringen“ und gemeinsam mit ihm ein Opfer darbringen? Das nämlich kann das Wort, das hier verwendet wird, auch bedeuten. Eine missverständliche Formulierung also?

Elie Wiesel, ein rumänisch-amerikanischer Schriftsteller und Hochschullehrer, der in den KZs Auschwitz und Buchenwald interniert war und überlebt hatte, nennt Isaak den ersten Überlebenden des Holocaust, weil er diese erste Tragödie überlebte! Denn in der allerersten griechischen Übersetzung dieses Bibeltextes wird hier für das Opfer der Begriff Holocaust benutzt!

Andere sagen, Abraham habe die Prüfung nicht bestanden. Er hätte sich weigern und gleich ein Opfertier mitnehmen sollen.

Die gängigste Interpretation auch im Judentum ist: diese Geschichte prangert die zu der Zeit übliche Opferung eines Kindes an. Menschenopfer waren die schlimmste Plage der heidnischen Umwelt und in allen Völkern und Kulten zu Abrahams Zeit üblich! Die Geschichte will also sagen: Du sollst keine Menschen opfern, für keine noch so heilige Sache! Dass Abraham Isaak bindet für das Opfer und dass Gott stattdessen sich selbst ein anderes Opfer wählt – das soll der Welt dramatisch demonstrieren, dass es Menschenopfer niemals geben darf. Daher wagt Gott, das Undenkbare zu fordern. Und darum willigt Abraham sofort ein.    

 

Abraham wird als Vater im Glauben fortan hoch geehrt. Als Familienvater hat er hier allerdings auf ganzer Linie versagt. Das schlägt sich auch im Bibeltext nieder: am Anfang wurde betont, dass Abraham und Isaak miteinander auf den Berg gingen. Am Ende kehrt Abraham (!) zurück zu den Burschen und nach Hause nach Beerscheba. Von Isaak ist keine Rede mehr. Wo ist er geblieben? Von ihm wird erst wieder berichtet, als der Vater eine Braut für ihn werben lassen hat. Die begegnet ihm zum ersten Mal im Süden des Landes beim „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“. Musste Isaak das Erlebte erst verarbeiten? War das der Punkt, an dem er sich entschlossen hat, sein Leben unabhängig vom Vater zu leben? Wendet er sich lieber an den Gott, der ihn und sein Schicksal ansieht, statt an den, der sein Leben fordert?

Jedenfalls verliebt Isaak sich augenblicklich in seine Braut Rebekka, und er führt sie in das Zelt seiner Mutter nach Hebron. „So wurde Isaak getröstet über seine Mutter“, heißt es abschließend. Denn Sara war da schon längst gestorben. Das wird als nächstes erzählt nach der Geschichte von der Bindung des Isaak. Abraham wohnte in Beerscheba, Sara in Hebron. Das allein spricht schon Bände! Als sie gestorben war, „kam Abraham, dass er sie beklagte und beweinte“. – Sicher, Sara war alt. Aber hat die Tatsache, dass Abraham bereit war, ihren einzigen, geliebten Sohn zu opfern, ihr vielleicht das Herz gebrochen? Spekulation, gewiss. Es wird nicht ausdrücklich gesagt. Aber warum sonst wird beides nacheinander erzählt?

Aber auch an Abraham ist die Opfergeschichte nicht spurlos vorbeigegangen. Jedenfalls wird nicht mehr berichtet, dass er eine weitere Begegnung mit Gott gehabt oder zu ihm gebetet hätte. - Die drei haben also einen hohen Preis bezahlt für die Abschaffung des Menschenopfers.

Gottes Segen über Abraham geht jedoch weiter, wie er es versprochen hat. Die Familie vergrößert sich sprunghaft von Generation zu Generation. Isaaks Sohn Jakob ändert im Alter seinen Namen in Israel, Gottesstreiter. Seither nennt sich die Familie, später das ganze Volk, mit diesem Namen. Gottes Verheißung (so viele Nachkommen wie Sterne am Himmel) ist in Erfüllung gegangen. Abraham, Isaak und Jakob/Israel gelten als die Stammväter des Volkes Israel.         

Es ist eine bittere Geschichte, die der Bilderfries darstellt. Das aber wird deutlich: Gott will uns Menschen lieber segnen als strafen. Und an der Tötung von Menschen hat er kein Gefallen!