Blindenheilung

Nach einer Wundergeschichte und nach der Predigt Jesu, insbesondere über das Gebot der Feindesliebe, zeigt das 10. Fenster eine Blindenheilung. Zu sehen ist eine stehende Person (rechts) und zwei Kniende. Oben im Bild ist eine Stadt-Silhouette oder ein Dorf angedeutet. Die drei Personen begegnen sich also außerhalb der Stadt, vielleicht an einer der Straßen, die in die Stadt hinein bzw. wieder herausführt. Es fällt auf, dass eine Person die Augen weit offen hat; der Blick der anderen ist leer. Die Knienden haben die Hände vorgestreckt, als wollten sie sich tastend orientieren. Der Stehende berührt die Augen eines der Knienden. Es wird sich also wohl um eine von mehreren Geschichten handeln, in denen Jesus (zwei) Blinde auf dem Weg geheilt hat. Unterstützt wird das durch die Vielfarbigkeit der dargestellten Personen. Die Gesichter leuchten weiß oder gelb. Ist das der Moment, in dem sie anfangen, zu sehen?

Im Matthäusevangelium wird u.a. von zwei Blinden am Weg bei Jericho erzählt (Mt 20,29-34). Sie erfahren, dass Jesus vorübergeht und rufen nach ihm. Sie lassen sich nicht einschüchtern von den Begleitenden. Da bleibt Jesus stehen, fragt, was er für sie tun soll und heilt ihnen die Augen, so dass sie sehen können. Danach wird erzählt, dass sie Jesus nachfolgten.

Ähnliche Geschichten gibt es mehrfach in den Evangelien; manchmal ist es ein, manchmal zwei Blinde, einmal ist auch ein stummer Mensch dabei. Ein Blinder heißt sehr sprechend sogar Bar Timäus, Sohn der Dunkelheit. Einmal sitzen sie zum Betteln an einem Weg und hören durch die Gespräche derjenigen, die Jesus begleiten, dass Jesus an ihnen vorbeikommt. Ein andermal werden sie von Verwandten zu Jesus gebracht.

Diese beiden nun sitzen am Weg von und nach Jericho. Sie nennen Jesus „Sohn Davids“. Sie haben offenbar von ihm gehört nicht nur als Jesus von Nazareth. Sie wissen, dass Jesus aus dem Königshaus stammt, das 1000 Jahre zuvor mit David begründet wurde. Gleichzeitig klingt die Verheißung an David mit, dass der Messias aus seiner Nachkommenschaft hervorgehen wird. Die Blinden glauben also an Jesus als diesen besonderen Davidssohn, der in Vollmacht und in der Kraft des Heiligen Geistes das Heil heraufführt. Von ihm erhoffen sie sich sein Erbarmen, nicht wie üblich in Form von klingender Münze, sondern in der Heilung von ihrer Blindheit.

So sind wohl auch die meisten anderen Heilungsgeschichten im Neuen Testament einzuordnen. Solange der Davidssohn und Gottessohn Jesus da ist, ist Gottes Heil greifbar bei den Menschen. Das körperliche und auch seelische Heilwerden gilt als Hinweis und Vorzeichen für das Heil am Ende der Zeit, wenn der Messias kommt und Gottes Reich für alle sichtbar aufrichtet.    

 

„Womit habe ich das verdient?!“

Schon zu biblischen Zeiten stellten die Menschen einen Zusammenhang her zwischen einer Krankheit oder Behinderung und einer vorausgegangenen Schuld. Ist die Krankheit oder Behinderung eine Strafe, die Gott verhängt hat für ein Fehlverhalten, für eine schwerwiegende Sünde? Bis heute fragen Menschen, „womit sie ihren Zustand verdient haben“ – ganz wie Hiob überzeugt, dass sie keinen Anlass zu dieser Strafe gegeben haben.

Im 9. Kapitel des Johannesevangeliums wird sehr ausführlich von der Heilung eines blind geborenen Mannes erzählt. Selbst die Jünger fragen Jesus, ob der Blinde selber seinen Zustand durch sündiges Verhalten verursacht hat. Aber wie könnte das sein, wenn er schon so geboren ist? War es die Strafe für die Schuld seiner Eltern? Jesus antwortet, dass weder der eine noch die anderen gesündigt hatten. Krankheit bzw. Behinderung sind keine Strafe für ein Fehlverhalten im Sinne von Sünde! Die Frage, womit einer seine Krankheit „verdient“ habe, stellt einen Zusammenhang her, wo keiner ist.

Hier sagt Jesus: An dem Blinden sollen die Werke Gottes offenbar werden. Und dann bezeichnet Jesus sich erneut als das Licht der Welt. Vorher schon hatte Jesus gesagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Die Pharisäer, die dem geheilten Blindgeborenen zusetzten, sind hier die eigentlich Blinden, denn sie erkennen nicht, wer Jesus wirklich ist. Der Blinde glaubt an Jesus; die anderen aber bestreiten, dass Jesus Vollmacht von Gott hat.

 

Zusammenfassung Fenster 8-10

Mit diesen drei Glasbildern von der Sturmstillung, von der Bergpredigt und von der Blindenheilung sind hier exemplarisch Schwerpunkte aus dem Leben Jesu zusammengestellt, in denen seine Vollmacht als Messias und Gottessohn gezeigt wird. Ihm gehorchen die Elemente. Er predigt und ist selbst Gottes Wort. Und er tut Wunder an den Menschen.

Denken wir noch einmal an das Thema des gesamten Bilderfrieses: er sollte darstellen „die fortschreitende Sünde, der das Ja des lebendigen Gottes gegenübergestellt wird.“ (Zitat: Wilhelm Weck, Festschrift 1964, S 43). In Jesus finden wir also das Ja Gottes zu den Menschen und zu seiner Welt personifiziert.

Gesteigert und in besonderer Weise betont wird das in den folgenden beiden Fenstern mit Details aus der Kreuzigungsszene und des Ostermorgens.